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Weiterentwicklung der klinischen Diagnostik mithilfe der Massenspektrometrie

Mitwirkende Laborleiter:innen: Michael Vogeser, Christa M. Cobbaert und Esa Hämäläinen

Die Massenspektrometrie (MS) bietet Laboren eine unverzerrte, einheitliche Methode zur Untersuchung einer Vielzahl von Substanzen, wie z. B. Proteinen und therapeutischen Medikamenten, und weist im Vergleich zu herkömmlichen Immunoassays in der Regel eine bessere Spezifität und Sensitivität auf. Spezifische Anwendungsfälle wie Proteomik, Steroidhormonanalyse und Therapeutisches Drug Monitoring geben einen Einblick, wie massenspektrometrische Ansätze die Entwicklung sicherer und wirksamer klinischer Diagnostika und Präzisionsmedikamente fördern könnten.

Auf dem diesjährigen European Congress of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (EuroMedLab) diskutierten Prof. Dr. Esa Hämäläinen, Prof. Dr. Christa M. Cobbaert und Prof. Dr. Michael Vogeser darüber, wie die Massenspektrometrie (MS) die Grenzen der klinischen Diagnostik verschieben kann.

Artikel-Highlights:
  • Herkömmlichen Immunoassays fehlt es im Vergleich zur Massenspektrometrie an der Spezifität und Sensitivität, um genau definierte Molekülspezies von Interesse für Proteine und Medikamente nachzuweisen.
  • Zu den Bereichen, die sich für massenspektrometrische Technologien eignen, gehören Proteomik, Steroidhormonanalyse und Therapeutisches Drug Monitoring.
  • Die Massenspektrometrie könnte umfassend in der klinischen Diagnostik eingesetzt werden, wenn die Life-Sciences-Community die Probleme in Bezug auf Kosten, Mitarbeiterschulung und Workflow-Automatisierung löst.
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Proteomik: Die molekularen Grundlagen von Gesundheit und Krankheit entdecken

Die Entschlüsselung des Proteoms, also aller von einem Organismus produzierten Proteine, kann dazu beitragen, die molekularen Grundlagen von Gesundheit und Krankheit besser zu definieren. Die Proteomik eröffnet den Weg zu bahnbrechenden Erkenntnissen über die longitudinale Zusammensetzung und Gewebeverteilung von Proteinen und Proteoformen. Obwohl die immunchemische Analyse beim Verständnis der Proteinbiologie bisher an vorderster Front gestanden hat, bietet die Massenspektrometrie die Möglichkeit, die grosse Anzahl von Proteoformen mit höherer Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu erfassen.1

Ein Übersichtsartikel von Forgrave und Kollegen verweist auf den Einsatz massenspektrometrischer Anwendungen in der Proteomik, mit denen eine höhere molekulare Sensitivität, ein genauerer Nachweis und eine bessere Charakterisierung als mit anderen Methoden erreicht wird.2 Klinische Anwendungen, die sich für die massenspektrometrische Proteinuntersuchung eignen, umfassen die Phänotypisierung pathogener Varianten, die Analyse von proteolytischen Umwandlungen und Abbauwegen sowie endogenen vs. exogenen Proteoformen.

Zu diesem Zweck könnte die Entwicklung quantitativer massenspektrometrischer Proteintests, die in der routinemässigen klinischen Versorgung eingesetzt werden können, eine direktere Identifizierung von Proteoformen und ihrer Korrelation mit Krankheiten und Ergebnissen ermöglichen. Mit diesem proteinanalytischen Ansatz könnte man die nächste Generation von Biomarkern und zielgerichteten Therapien entdecken. Bevor diese Durchbrüche erzielt werden können, müssen jedoch die Massenspektrometrie besser automatisiert und Anforderungen an die Kosteneffizienz, Implementierung und Schulung von Laborpersonal erfüllt werden.3 Das Überwinden dieser Herausforderungen verbessert die Aussichten darauf, dass Laborleiter:innen sich für einen umfassenden Einsatz der massenspektrometrischen Proteomik entscheiden, um ungedeckte klinische Bedürfnisse bei aktuellen klinischen Versorgungswegen zu erfüllen.

Fortschritte bei der klinischen Steroidhormonanalyse

Die klinische Untersuchung von Steroidhormonen ist für die Diagnose eines breiten Spektrums von Erkrankungen und die Kenntnis des Therapieansprechens von entscheidender Bedeutung. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Life-Sciences-Community über 3000 Studien zur massenspektrometrischen Analyse klinisch relevanter Hormone veröffentlicht, darunter Testosteron, Cortisol, Aldosteron, Estradiol und Progesteron. Sie belegen die Bedeutung der Technologie für die Steroidhormon-basierte Krankheitsdiagnostik.

 

Die Forscher:innen fördern den Einsatz der Massenspektrometrie bei der Steroidhormonanalyse, da die häufigere und weit verbreitete Methode direkter Immunoassays bei der Untersuchung des endokrinen Systems gewisse Einschränkungen aufweist. Zu diesen Einschränkungen zählen:

  • Geringe Spezifität
  • Geringe Sensitivität
  • Unzureichende Genauigkeit und signifikante Verzerrung bei niedrigen Hormonspiegeln 
  • Störsubstanzen
  • Begrenztes Interesse seitens der Hersteller, Assays für seltene Steroide zu entwickeln.

Aufgrund ihrer höheren Spezifität, Sensitivität und Genauigkeit trägt die Massenspektrometrie dazu bei, diese Hindernisse zu überwinden. Beispielsweise verglichen Wang und Kollegen mehrere Immunoassays mit der Flüssigchromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie bei der Messung des Gesamtserumtestosterons erwachsener Männer.4 In diesem Vergleich zeigten die direkten immunologischen Testosteron-Immunoassays einen erheblichen Mangel an Präzision, Genauigkeit und Bias.

Darüber hinaus drängen globale Fachorganisationen wie die Endocrine Society auf die Verwendung der Massenspektrometrie bei der Messung des Testosteronspiegels hypogonadaler Männer. In ähnlicher Weise haben die U.S. Centers for Disease Control and Prevention das Hormon-Standardisierungsprogramm für Testosteron und Estradiol erstellt, das die Verwendung der Massenspektrometrie unterstützt, um die Genauigkeit und Präzision der Messung von Steroidhormonen zu verbessern.5

In Zukunft könnte die Massenspektrometrie möglicherweise in mehreren diagnostischen klinischen Laboren eingesetzt werden, was eine bessere analytische Qualität und multiples Steroid-Profiling mit automatischen Analysegeräten, bessere interne Isotopenstandards und verbesserte zertifizierte Kalibrierungsstandards für die Steroid-Analyse ermöglicht.

Therapeutisches Drug Monitoring

Das Therapeutische Drug Monitoring (TDM) soll es Ärzt:innen ermöglichen, die Pharmakodynamik (PD) und Pharmakokinetik (PK) einer Arzneimitteltherapie zu beurteilen, um die Dosis individuell einstellen zu können. Während mit der PD ermittelt wird, was das Medikament im Körper bewirkt, wird mit der PK erfasst, was der Körper mit dem Medikament macht. Im Allgemeinen kann das TDM dazu beitragen, die Compliance der Patienten zu verifizieren, indem die Arzneimittelkonzentration im Blut gemessen und relevante PD-Anomalien ausgeschlossen werden. Evidenzbasierte Zielkonzentrationsbereiche können dann die individuelle Dosierung anleiten, um eine sichere und wirksame Behandlung zu bieten.

Ein Bereich, in dem das TDM von Nutzen sein wird, ist die Bestimmung der Pharmakokinetik von Antibiotika bei lebensbedrohlichen Infektionen. Beispielsweise entwickelten Zander und Kollegen eine Multianalyt-Hochleistungs-Flüssigchromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie, um mehrere Antibiotika bei kritisch kranken Patient:innen zu quantifizieren, die eine hohe Inzidenz subtherapeutischer Behandlungsstufen aufweisen.6 Die Ergebnisse der Studie legten nahe, dass die Massenspektrometrie im Rahmen eines zuverlässigen und optimierten Workflows eingesetzt werden könnte, um das TDM bei dieser Patientenpopulation zu verbessern.

In diesem Zusammenhang verweisen Experten auf das TDM als ein Element für einen verantwortungsvolleren Umgang mit Antibiotika, das die Ergebnisse verbessern und Ärzt:innen die Möglichkeit geben soll, Antibiotikadosen in einem multidisziplinären Ansatz korrekt anzuwenden und auszuwählen.7 Ziel dieses Konzepts ist es, Antibiotika besser zu nutzen und für lebensbedrohliche Infektionen zu bewahren. Unter allen analytischen Aspekten ist die Massenspektrometrie die leistungsstärkste Technologie für das TDM von niedermolekularen Arzneimitteln.

Ein weiterer Bereich, in dem TDM und Massenspektrometrie zusammengeführt werden, ist die Quantifizierung niedermolekularer Medikamente, insbesondere Modulatoren des CFTR (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator) bei zystischer Fibrose und orale Tumortherapeutika, wie z. B. Inhibitoren der Cyclin-abhängigen Kinasen (CDK) 4/6 bei Brustkrebs. Auch bei diesen Medikamenten kann die Massenspektrometrie dazu beitragen, auftretende Probleme wie Arzneimittelwechselwirkungen, Resorption, Therapietreue der Patient:innen und genetischen Hintergrund zu ermitteln.

Im Vergleich zu herkömmlichen Immunoassays und anderen Technologien bietet die Massenspektrometrie bei der Quantifizierung kleiner Moleküle mehrere Vorteile, darunter:

  • Sehr hohe Spezifität mit echtem molekularem Nachweis
  • Sehr hohe Zuverlässigkeit, da Matrixeffekte kompensiert werden
  • Flexibilität bei der Methodenentwicklung, da keine spezifischen Reagenzien oder spezifischen Eigenschaften von Analyten erforderlich sind 
  • Kodetektion von Metaboliten mit individuellen PD-Mustern
  • Profilerstellung einer grossen Anzahl gleichzeitig verabreichter Substanzen mit ihren Metaboliten 
  • Gezieltes Screening von Unbekannten in der klinischen Toxikologie8

Angesichts dieser grundsätzlichen Vorteile gegenüber Immunoassays wird die Massenspektrometrie entscheidend dazu beitragen, das TDM vom alleinigen Fokus auf die Medikamentensicherheit zu lösen und es Ärzt:innen zu ermöglichen, ihre Bemühungen sowohl auf die Sicherheit als auch auf die Effizienz von Medikamenten zu verlagern.

Die Zukunft der Massenspektrometrie in der klinischen Diagnostik

Derzeit konzentriert sich die Gesundheitsbranche darauf, mit der Massenspektrometrie die Diagnostik in der klinischen Labormedizin zu verbessern und neue Wege für individuell angepasste Medikamente zu eröffnen. Massenspektrometrische klinische Ansätze ermöglichen die Untersuchung einer grossen Anzahl von Substanzen wie Proteoformen, Steroiden und Arzneimittelmetaboliten im Rahmen von Antibiotikatherapien und das TDM mit besserer Sensitivität und Spezifität als konventionelle Immunoassays. Obwohl die Massenspektrometrie in der klinischen Praxis noch nicht routinemässig eingesetzt wird, könnte die Technologie durch die Beseitigung von Hürden wie Kosten, Personalschulungen und Workflow-Automatisierung in mehr Laboren eingeführt werden, um schneller, zuverlässiger und konsistenter die Bedürfnisse der Patient:innen zu erfüllen.

Wenn Sie mehr von Prof. Dr. Michael Vogeser, Prof. Dr. Christa M. Cobbaert und Prof. Dr. Esa Hämäläinen und den Einfluss der Massenspektrometrie auf die klinische Diagnostik hören möchten, klicken Sie hier, um sich zu registrieren und die vollständige Präsentation anzusehen.

 
  1. Van der Burgt and Cobbaert. (2018) Clin Lab Med 38, 487-497. Paper available from https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30115393/ [Accessed August 2023]
  2. Forgrave et al. (2022). Pract Lab Med, e00260. Paper available from https://doi.org/10.1016/j.plabm.2021.e00260 [Accessed August 2023]
  3. Smit et al. (2021). J Am Soc Mass Spectrom 32, 636–647. Paper available from https://doi.org/10.1021/jasms.0c00379 [Accessed August 2023]
  4. Wang et al. (2004). J Clin Endocrinol Metab 89, 534-43. Paper available from https://doi.org/10.1210/jc.2003-031287 [Accessed August 2023]
  5. U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC). (2023). Information available from https://www.cdc.gov/labstandards/csp/hs_host.html [Accessed August 2023]
  6. Zander et al. (2015). Clin Chem Lab Med 53, 781-91. Paper available from https://doi.org/10.1515/cclm-2014-0746 [Accessed August 2023]
  7. Zander et al. (2019). Clin Mass Spectrom 14 Pt A, 31–33. Paper available from https://doi.org/10.1016/j.clinms.2018.11.001 [Accessed August 2023]
  8. Bazydlo et al. (2016). MedLabMag 5, 2. Article available from https://www.medlabmag.com/article/1290 [Accessed September 2023]